Legasthenie in Deutschland

In Deutschland sind im Schnitt etwa 10% der Bevölkerung laut DVLD (Legasthenieverband) von Legasthenie betroffen. Die am meisten verbreitete Lernproblematik ist keinesfalls als eine Schwäche, Behinderung oder gar Krankheit anzusehen, sondern als eine Problematik des Lesens und / oder Schreibens, die jeden betreffen und die bis ins Erwachsenenalter anhalten kann. Auch in anderen Ländern sind Menschen unterschiedlich häufig von Legasthenie betroffen, wie Pisa Studien belegen. In den Vergleichstests zeigt sich, dass die sogenannte Lese-Rechtschreibschwäche nicht nur ein Problem im deutschen Sprachraum ist.

Die Definition von Legasthenie

Legastheniker haben eine ausgeprägte Schwierigkeit, das Lesen und / oder Schreiben zu erlernen. Beim Lesen sind typische Anzeichen dieser Störung ein vermindertes Lesetempo, Probleme beim Vorlesen und das Verlieren der Textzeile oder häufiges Stocken. Ebenso vertauschen oder ersetzen Legastheniker oft ganze Wörter eines Satzes oder lassen Buchstaben eines Wortes aus. Zudem kann es ihnen schwer fallen, das Gelesene wiederzugeben oder zu interpretieren.

Wie beim Lesen zeigt sich auch beim Schreiben die Legasthenie oft durch das Auslassen, Umstellen oder Verwechseln von Buchstaben oder Silben. Weiterhin zählen Interpunktions- und Grammatikfehler. Auch eine hohe Fehlerquote beim Abschreiben sowie beim Niederschreiben geübter wie ungeübter Texte spricht für eine Legasthenie. Typisch für Legastheniker ist nicht zuletzt auch eine unleserliche Handschrift.

Ursachen der Legasthenie

Man geht davon aus, dass einer LRS (Lese-Rechtschreibschwäche) mehrere Faktoren zugrunde liegen. Hier spielen vor allem die Genetik (Vererbung), die Neurobiologie (Nervensystem), psychosoziale Faktoren wie das Umfeld und die Kognition (Informationsverarbeitung) eine wesentliche Rolle. Allerdings ist die Forschung auf dem Gebiet noch nicht vollends abgeschlossen, sodass bisherige Erkenntnisse als noch nicht gesichert gelten können.

Dennoch liegt die Wahrscheinlichkeit der Vererbung von Legasthenie bei 43 – 60 % sehr hoch und gibt Aufschluss darüber, dass der genetische Faktor ein wesentliches Merkmal darstellt. Es ist also gut möglich, dass ein Kind eine Legasthenie entwickelt, wenn bereits mindestens ein Elternteil oder Großelternteil ebenfalls betroffen ist.

Bei Menschen mit Legasthenie ist die visuelle und auditive Informationsverarbeitung gestört beziehungsweise funktioniert anders als bei nicht betroffenen Personen. Legastheniker haben zum Beispiel starke Probleme bei der Lautunterscheidung sowie dem Abspeichern von Lauten. Diese Forschungserkenntnisse geben Aufschluss darüber, dass die linke Gehirnhälfte bei Menschen mit LRS bestimmte Funktionen anders ablaufen lässt oder es dort zu Störungen kommt.

Das soziale Umfeld kann eine Legasthenie nicht auslösen, jedoch einen starken Einfluss auf das betroffene Kind und den Umgang mit LRS haben. So erzielen Kinder, die entsprechend gefördert und unterstützt werden, eine durchaus positivere Einstellung zum Erlernen des Lesens und Schreibens trotz Probleme als Kinder ohne entsprechenden Rückhalt. Besonders wichtig scheint hier vor allem die Unterstützung zu sein, um die Lernbereitschaft und den Spaß am Lernen auch bei Rückschlägen beibehalten zu können.

Verschiedene Begrifflichkeiten für Legasthenie

Neben dem Begriff der Legasthenie gibt es zahlreiche andere Umschreibungen , die alle das gleiche meinen, allerdings eher im Umgangssprachlichen gebräuchlich sind. So werden die Klassifikationsschemata Lese-Rechtschreibstörung, isolierte Rechtschreibstörung und spezifische Lernstörung von Fachleuten verwendet, während Begriffe wie Wortblindheit, Leseschwäche oder Lese-Rechtschreibschwierigkeiten hier keine Verwendung finden.

Lese-Rechtschreibstörung nach ICD-10 und DSM-5

Das Klassifikationsschema der WHO (Weltgesundheitsorganisation) ICD-10 definiert ganz klar, nach welchen Kriterien eine Lese-Rechtschreibstörung oder eine isolierte Rechtschreibstörung zugrunde liegt. Die isolierte Rechtschreibstörung bezeichnet Schwierigkeiten des Schreibens und / oder Buchstabierens von Worten, während das Lesen ohne Probleme erfolgt. Beide Formen zählen nach der WHO neben anderen zu den sogenannten „umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten“.

Das Klassifikationsschema DSM-5 wird ebenfalls international angewandt, um Legasthenie zu diagnostizieren, unterscheidet sich aber zum ICD-10 darin, dass die Kriterien „spezifische Lernstörung mit Beeinträchtigung beim Lesen“ und „spezifische Lernstörung mit Beeinträchtigung beim schriftlichen Ausdruck“ voneinander unterschieden werden. Auf diese Weise findet die individuelle Entwicklung der Lernstörung mehr Berücksichtigung und verzichtet überdies auf das Intelligenz-Diskrepanzkriterium des ICD-10.

Durch ein international einheitliches Testverfahren will man erreichen, dass international eindeutige Beschreibungen der Legasthenie formuliert und ausgewertet werden können.

So wird Legasthenie getestet

Fallen beim Lesen und Schreiben verschiedene Problematiken auf, wie ständiges Stottern oder häufig hohe Fehler beim Schreiben eingehens geübter Texte, überweist der Kinderarzt an ein entsprechendes Institut, das eine Testung auf Legasthenie vornimmt. Im Fragenkatalog ist festgelegt, über welche Kompetenzen ein Kind in den Bereichen Sprechen und Zuhören, Schreiben, Lesen und dem Umgang mit Texten und Medien verfügen sollte. Erfüllt die getestete Person diese Standards nicht oder nur unzureichend, lautet die Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit „Legasthenie“.

Eine Lerntherapie für Legastheniker

Eine professionelle Begleitung durch einen Lerntherapeuten / eine Lerntherapeutin verspricht zwar keine Heilung, denn die Legasthenie bleibt nach wie vor bestehen, doch es hilft dem Kind ungemein, mit der LRS umzugehen, an den eigenen Stärken zu arbeiten und somit auch das Selbstwertgefühl weiterhin zu bestärken. In der Therapie wird eine individuelle Unterstützung und Förderung erarbeitet, die genau auf die Schwierigkeiten des Kindes abgestimmt ist. Wichtig ist, dass das Kind und die therapierende Person gut miteinander auskommen und das Kind mit Spaß und Motivation bei der Sache ist, um Lernerfolge zu erzielen. Mittlerweile ist auch eine Onlinetherapie bei Legasthenie durchaus gängig, wie sie zum Beispiel auf www.legastheniker.de angeboten wird.

Wie Eltern ihren Kindern helfen können

Das wohl Wichtigste ist, dass ein Kind mit nachgewiesener Lese-Rechtschreibschwäche trotzdem Spaß am Lesen und Schreiben hat. Es soll Lernerfolge erzielen können und die Leistungen wertgeschätzt werden, auch wenn sie nicht mit denen der Mitschüler und Mitschülerinnen vergleichbar sein können. Eltern sind daher gut damit beraten, ihr Kind zu unterstützen und zu motivieren. Anstatt zu viel zu verlangen ist es besser auch kleine Fortschritte zu bemerken und zu loben. Weiterhin ist von den Eltern Geduld gefragt, auch wenn das geübte Wort schon wieder falsch geschrieben oder gelesen wurde. Eine ruhige, stress- und ablenkungsfreie Lernumgebung hilft ebenfalls, das Lesen und Schreiben zu üben.

Rücksprache mit dem Lehrpersonal ist ebenfalls enorm wichtig, damit alle an einem Strang ziehen können. Denn auch die Schulen haben Möglichkeiten, auf eine diagnostizierte Legasthenie Rücksicht zu nehmen, einen individuell auf das Kind abgestimmten Förderplan zu erstellen und, wenn nötig, einen Nachteilsausgleich zu veranlassen, sodass zum Beispiel keine Rechtschreibfehler in die Benotung einer Klassenarbeit einfließen. Vor allem aber soll sich das Kind trotz der Schwierigkeiten sicher, wohl und bestärkt im Klassenverband fühlt, damit es sich auch weiterhin traut, an der Problematik zu arbeiten.

Diktate sind für Kinder mit Legasthenie besonders frustrierend, da ihnen das richtig Schreiben der Wörter auch nach häufigem Üben schwer fällt. Anstatt also zu Hause die Fehler zu zählen, ist es eine motivierende Angelegenheit, die richtig geschriebenen Wörter zu zählen. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass trotz hoher Fehlerquote der Fokus auf den Erfolgen liegt.

Mittlerweile gibt es viele Lern-Apps, mit denen Kinder spielerisch das Lesen und Schreiben lernen können. Dies Apps haben den Vorteil, dass die Kinder für sich lernen können, die Fragen und Aufgabenstellungen können beliebig oft von der Software wiederholt werden und die Schriftgrößen lassen sich teilweise je nach App ebenfalls einstellen. Zur Belohnung können unter Umständen kleine Spiele freigeschaltet werden, die eine kurze Verschnaufpause verschaffen. So üben Kinder nicht nur ihre Fertigkeiten, sondern auch den Umgang mit technischen Hilfsmitteln und die Eltern brauchen nicht ständig geduldig daneben sitzen.

Mit Legasthenie umgehen

Niemand sucht es sich aus, Legastheniker zu werden. Und doch leiden viele der Betroffenen nicht nur unter ihren Problematiken, die das Selbstbewusstsein schon genug ankratzen können, sondern auch vor allem in der Schule unter Hänseleien oder gar einer Ausgrenzung aus dem Klassenverband. Damit dies nicht geschieht oder dem zumindest vorgebeugt wird, ist ein offener Umgang hilfreich. Wenn alle an einem Strang ziehen und sich gegenseitig unterstützen, bietet das für alle Beteiligten das beste Lernumfeld. Daher ist auch in der Schule ein aufgeschlossener Umgang mit dem Thema Legasthenie wichtig, damit die Mitschülerinnen und Mitschüler wissen und verstehen, warum das eine Kind bestimmte Problematiken aufweist. Sind die anderen Kinder motiviert ebenfalls zu unterstützen und Verständnis zu zeigen, ist das eine tolle Voraussetzung, von der alle profitieren.

So kann ein Nachteilsausgleich aussehen

Ein Nachteilsausgleich in der Schule hat den Zweck, dem Kind entgegenzukommen und es individuell in seinen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu fördern. Diese Methode nimmt enorm den Leistungsdruck des Kindes und bestärkt es darin, die Fähigkeiten, die es besitzt, weiter auszubauen. So können Kinder, die langsam lesen, darin unterstützt werden, dass ihnen mehr Zeit eingeräumt oder die Aufgabenstellung vorgelesen wird. Bei mangelhafter Rechtschreibung kann auf die Nichtbewertung der Rechtschreibung zurückgegriffen werden. Ebenso kann in Betracht gezogen werden, Multiple-Choice-Fragen zu formulieren, bei denen das Kind die richtige Antwort nur ankreuzen muss oder man ermöglicht eine mündliche anstatt einer schriftlichen Überprüfung des Wissens. Diese Maßnahmen eignen sich auch bei Legasthenikern mit einer sehr unleserlichen Handschrift. Überdies ist auch die Verwendung eines PC eine Überlegung wert. Auf diese Weise ist die Schrift leserlich und durch entsprechende Rechtschreibkorrekturen weniger fehlerbehaftet. Dadurch hat es auch die Lehrkraft leichter, die Leistung zu bewerten und das Kind fühlt sich in seinem Können trotz Einschränkungen bestärkt. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, Legasthenikern im Schulunterricht so entgegen zu kommen, dass es sich dennoch dem Klassenverband integriert fühlt und individuell gefördert wird. Zudem bedeutet es für das Lehrpersonal keinen großen Aufwand, einem Kind gesonderte Möglichkeiten einzuräumen. Wichtig dabei ist, dass Lehrer / Lehrerinnen, Eltern und ggf. Lerntherapeuten im regelmäßigen Austausch sind, um die optimale Förderung gewährleisten zu können. Kontinuierliche Rücksprachen sind hierfür unerlässlich.